Die Mitgliederversammlung am 14.7.19 hat gezeigt: Der VfB lebt! Die Herzen so vieler verschiedener Menschen hängen an diesem Verein. Lasst uns diesen Schwung und dieses Bewusstsein endlich wieder auf die Straßen und ins Stadion tragen. Gemeinsam, hinter der Fahne der Cannstatter Kurve.
Da die allgemein um sich greifende Repression gegen Fußballfans leider auch vor der Karawane Cannstatt nicht Halt macht und es in der Vergangenheit bereits Kriminalisierungsversuche der Polizei gegenüber dem Anmelder aus unseren Reihen gab, bitten wir euch auch in diesem Jahr wieder darum, auf Pyrotechnik und Glasflaschen während der Karawane zu verzichten und den Anweisungen unserer Ordner Folge zu leisten. Legt die Handys und Fotos weg und werdet ein Teil der Karawane Cannstatt!
An dieser Stelle dokumentieren wir den Redebeitrag von Rechtsanwältin Angela Furmaniak bei der NoPolGBW-Demo am 13.07.2019. Der Redebeitrag steht auch bei https://www.freie-radios.net als Audiodatei zur Verfügung.
Redebeitrag zur Demonstration gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes in Baden-Württemberg am 13. Juli 2019 in Stuttgart von Angela Furmaniak
„Ich stehe heute hier, um aus der Sicht von Fußballfans
die Ursachen und Auswirkungen der immer weiteren Verschärfung der
Polizeigesetze zu schildern. Als Rechtsanwältin begleite ich seit vielen Jahren
nicht nur linke Aktivist*innen, sondern auch Fußballfans und erlebe dabei ganz
unmittelbar, was es heißt, mit immer weitergehenden polizeilichen Maßnahmen
konfrontiert zu sein.
Viele hier werden sich gewundert haben, weshalb sich überhaupt Fußballfans, das heißt vor allem Ultras im Bündnis gegen das neue Polizeigesetz engagieren. Und warum dafür sogar Fangruppen, die ansonsten regelrecht verfeindet sind, an einem Strang ziehen. Das hat einen ganz einfachen Grund: Fußballfans sind diejenigen, die mit am häufigsten und intensivsten von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind. Wer einmal mit einer Gruppe Ultras zu einem Auswärtsspiel in ein anderes Bundesland gefahren ist, wird wissen, was ich meine.
Typischerweise bringt die Polizei bei Fußballspielen ihr
gesamtes technisches Arsenal zum Einsatz. Bei Heimspielen des VfB Stuttgart
fliegt mittlerweile regelmäßig eine Drohne über Bad Cannstatt, um die Fans zu
beobachten und die Pferdestaffel ist fast immer auch mit dabei. Und wen wundert
es, dass Wasserwerfer, die nach dem sogenannten „Schwarzen Donnerstag“ im
September 2010 in Baden-Württemberg über einige Jahre völlig verpönt waren,
weil einem Demonstranten durch einen Wasserstrahl das Augenlicht zerstört
wurde, natürlich ihren ersten Einsatz wieder beim Fußball hatten?
Schon im Vorfeld einer Auswärtsfahrt setzt sich die Polizei in der Regel mit dem Busunternehmen in Verbindung, um zu klären, wie viele Busse von den Fans angemietet worden sind. Oft stehen dann am Treffpunkt nochmals Zivilstreifen, die beobachten, welche Personen genau mit am Start sind. Spätestens einige Kilometer vor der Ankunft am Stadion werden die Busse dann in einem Konvoi der Polizei zum Stadion geleitet. Ein Abweichen von der Strecke oder auch nur ein kurzer Halt sind dann nicht mehr möglich. Nicht selten kommt es vor, dass die Busse bereits zuvor über eine große Strecke von einem Polizeihubschrauber begleitet worden sind. Bei Ankunft auf dem Busparkplatz am Stadion werden die Fans dann häufig umgehend in einen Polizeikessel genommen und engmaschig zum Stadion begleitet. Im Stadion selbst ist die Polizei selbstverständlich ebenfalls präsent. Und immer wieder kommt es zu dramatischen Szenen und Verletzten, wenn die Polizei – häufig aus nichtigem Anlass – einen vollbesetzten Fanblock stürmt und dabei Pfefferspray einsetzt. Nach dem Spiel erfolgt dann oft eine sogenannte Blocksperre, das heißt die Fans dürfen über einen längeren Zeitraum das Stadion nicht verlassen, um eine Trennung der Fanlager sicherzustellen. Dass die Fans danach erneut im Polizeikessel zu ihren Bussen eskortiert werden und im Polizeikonvoi aus der Stadt hinausgeleitet werden, versteht sich von selbst. Und wer bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt dabei ist, kann sich oft glücklich schätzen. Im Vorfeld von sogenannten Risikospielen greift die Polizei in letzter Zeit zunehmend zum Mittel der Aufenthaltsverbote, um zu verhindern, dass Fans überhaupt zu einem Auswärtsspiel reisen können. Und ein Ultra, der nicht schon mal von einer Gewahrsamnahme oder einem Platzverweis betroffen war, dürfte schwer zu finden sein.
Als wäre dies alles nicht genug, führen die genannten
polizeilichen Maßnahmen in aller Regel zur Eintragung der Betroffen in einer
der diversen polizeilichen Datenbanken, das heißt insbesondere der Datei
„Gewalttäter Sport“ oder auch der baden-württembergischen „Datei Szenekundiger
Beamter“. Die Folgen einer solchen Datenspeicherung machen sich nicht nur im
Zusammenhang mit Fußballspielen, sondern auch im Alltag bemerkbar. So kann eine
Treffermeldung bei der Grenzkontrolle auf dem Weg in den Urlaub dazu führen,
dass der Betroffene so lange akribisch kontrolliert und durchsucht wird, bis
der Flugtermin verpasst ist.
Liest man im Nachhinein die Polizeiberichte, so meint man,
die Polizei habe nur mit letzter Not ein bürgerkriegsähnliches Szenario
verhindern können. Viel zu oft werden diese Berichte unhinterfragt von der
Presse ganz einfach abgeschrieben, ohne dass auch nur der Versuch einer
kritischen Auseinandersetzung zu erkennen ist.
Im Gegensatz zu diesem massiven personellen und technischen
Aufwand, den die Polizei bei Fußballspielen betreibt, stehen die nackten Zahlen
der Polizeistatistik. Danach handelt es sich bei Fußballstadien nämlich um sehr
sichere Orte. In der Saison 2018/2019 waren in Baden-Württemberg in den ersten
vier Ligen bei durchschnittlich 17.500 Zuschauern pro Spiel jeweils gerade
einmal 0,7 Verletzte zu verzeichnen. Jedes Dorffest dürfte gefährlicher sein.
Und die Anzahl der von der Polizei erfassten Straftaten geht von Jahr zu Jahr
zurück.
Aber warum dann dieser ganze Aufwand? Und warum wird die
vermeintliche Notwendigkeit, hart gegen angebliche Fußballgewalt durchzugreifen
mit schöner Regelmäßigkeit von einschlägigen Sicherheitspolitikern und
Polizeigewerkschaftlern bemüht, um härtere Gesetze, mehr Geld, mehr Stellen und
bessere Ausrüstung für die Polizei zu fordern?
Das dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass Fußballfans kaum eine Lobby haben. Viel zu oft werden sie unwidersprochen medial als Fußballchaoten und Gewalttäter abgestempelt und die Bürgerrechtsbewegung tut sich mehr als schwer mit einer Solidarisierung. Dabei wäre es immens wichtig, dass gerade die Bürgerrechtsbewegung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, was sich im Fußball abspielt. In Zeiten, in denen die Sicherheitsbehörden mit immer größeren Befugnissen ausgestattet werden und immer weiter aufgerüstet werden, müssen diese Maßnahmen von der Exekutive sowie der Legislative gerechtfertigt werden können. Und wer würde sich als Begründung für eine Gesetzesverschärfung besser anbieten als eine Personengruppe, der das Image der „Schmuddelkinder“ anhaftet und die Linken und sonstigen Engagierten irgendwie suspekt ist
Und wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen dann geschaffen sind und die Polizei mit immer besserer Ausrüstung ausgestattet ist, dann müssen die erweiterten Befugnisse in der Praxis selbstverständlich erprobt werden. Die logistische Mammutaufgabe, eine Vielzahl an Personen auf einmal erkennungsdienstlich zu behandeln oder in Gewahrsam zu nehmen, kann im Zusammenhang mit Fußballspielen am lebenden Fan geübt und umgesetzt werden. Die dort gewonnenen Erkenntnisse lassen sich dann ohne weiteres im Fall jeglicher Art des Aufbegehrens gegen staatliche Gewalt nutzen. Und so kommen im nächsten Schritt dann vielleicht Demonstrant*innen gegen den Braunkohleabbau oder Protestierende gegen einen Naziaufmarsch in den Genuss, der von der Polizei im Einsatz gegen Fußballfans erworbenen Fähigkeiten.
Wenn man sie nur lässt, kennt Repression kein Halten und die
Begehrlichkeiten der Polizeigewerkschaften und anderer Freunde der Überwachung
keine Grenzen. Noch lässt das Polizeigesetz in Baden-Württemberg „nur“ gegen
terroristische Gefährder den Einsatz von Maßnahmen der elektronischen
Aufenthaltsüberwachung, das heißt der elektronischen Fußfessel und sogenannten
Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverboten zu und soll „nur“ gegen diesen
Personenkreis demnächst vielleicht der sogenannte Unendlichkeitsgewahrsam
möglich sein. In einem übernächsten Schritt zählen dann möglicherweise Fußballfans
zu den Betroffenen, bevor schließlich alle, die gegen Ungerechtigkeiten und
gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufbegehren, in den Fokus geraten.
Und aus diesem Grund gilt: Nein zum neuen Polizeigesetz! Nein zu immer mehr Befugnissen für die Polizei! Nein zu immer mehr Kontrolle und Überwachung!„
Am Tag nach einer denkwürdigen Mitgliederversammlung ist Wolfgang Dietrich auf unnachahmliche Art und Weise zurückgetreten. Der Verein und seine Mitglieder müssen aus der Entwicklung, die uns an diesen Punkt geführt hat, jetzt die richtigen Schlüsse ziehen. Wolfgang Dietrich hat vieles verkörpert, was der VfB im Umgang mit den Vereinsmitgliedern seit Jahren falsch macht. Aber das Problem sitzt tiefer, denn der Umgang mit kritischen Mitgliedern beim VfB folgt seit Jahren demselben System. Sein Verdienst war es, das bisherige System schamlos auf die Spitze und damit hoffentlich in den Zusammenbruch zu treiben.
Wer bereits mehrere Mitgliederversammlungen besucht hat, wird den wesentlichen Bestandteil dieses Systems kennen: Die Erzeugung von Angst. Wenn eine Abstimmung nicht im Sinne der Führung verlaufen könnte, wird der Teufel an die Wand gemalt: Lizenzentzug, Rückzug von Sponsoren, sportlicher Absturz. Verleumdungen, linientreue Redner erfinden Gespräche, die es nie gab, Creditreform-Auskünfte sollen auf der MV verlesen werden und Teile der eigenen Anhänger werden der Presse zum Fraß vorgeworfen. Aktuell müssen wir sogar davon ausgehen, dass die Verwendung der bekannten Stempelsymbolik vom VfB zur Anzeige gebracht wurde. Man glaubt offensichtlich daran, ein Fadenkreuz erkennen zu können. Weiterer Bestandteil dieser Strategie ist die formale Eindämmung des Mitgliedereinflusses, wobei die e.V.-Satzung schon vor der Ausgliederung in vielen Punkten sehr restriktiv gestaltet war. Nach der Ausgliederung ist der Mitgliedereinfluss nochmals deutlich geschrumpft. All dies wurde aus der Angst geboren, dass ein emotionaler Pöbel auf der MV die Macht übernehmen könnte. Genau in diese Reihe gehört auch die sich ständig wiederholende Forderung nach einer Briefwahl und / oder Onlineabstimmung. Dies abzulehnen ist keinesfalls undemokratisch. Wer abstimmen möchte, sollte sich bitte auch die Debatte anhören.
Die Zeit von Horrorszenarien, Drohungen und Verleumdungskampagnen zum reinen Machterhalt muss jetzt ein Ende finden. Das inszenierte Gegeneinander von vernünftigen Mitgliedern gegen die Krakeeler aus der Kurve ist eine Beleidigung. Intellekt und Vernunft sind keine Frage des Standorts im Stadion.
Eine kulturelle Rundumerneuerung des VfB Stuttgart ist unumgänglich. Wir, das Commando Cannstatt stehen für diesen Neuanfang bereit und appellieren in diesem Zuge an die Führungsetagen von Verein und AG, sämtliche Ausschüsse, Beiräte, Freundeskreise und Mitmacher, endlich eine offene, transparente und integrative Kultur beim VfB zu schaffen, die gewillt ist, alle Mitglieder mit- und ernst zu nehmen. Dabei können wir nicht verschweigen, dass sich einige aktuelle und potentielle Funktionsträger durch ihr Verhalten rund um die Causa Dietrich und durch diverse hanebüchene Statements zum Verhalten der Kritiker von Herrn Dietrich nicht gerade für diesen Neuanfang empfohlen haben.
Traditionsgemäß werden wir auch in die kommende Zweitligasaison wieder mit der Karawane Cannstatt starten, die Vorfreude hält sich allerdings sehr in Grenzen. Auf die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte und den folgerichtigen Abstieg folgte schließlich nur ein „Weiter so!“ des Ankerinvestors und dann mit leichtem Zeitversatz auch der kompletten Führung der VfB AG. Dadurch war absehbar, dass die Diskussionen um die Personalie Dietrich nicht abreißen würden.
Vielversprechendere Thematiken, zum Beispiel wie man aus den vielen Potenzialen und Strömungen rund ums Neckarstadion einen besseren VfB machen kann, sind schon lange Vergangenheit. Es scheint unendlich lange her als man es gemeinsam geschafft hat einen Stadionumbau zu bewältigen, der ernsthaft versucht allen Interessen gerecht zu werden. Im Gegenteil, bei den „Einsingminuten“ vor Spielbeginn müssen immer weiter Abstriche gemacht werden. Diese Saison wurde sogar angefragt das Einsingen vom Spielbeginn weg zu verlegen, um die Stadionshow zu optimieren. Dabei sind diese die einzige Möglichkeit für Heim- und Gästefans, sich ohne Beschallung auf das Spiel einzustimmen. Ohne Worte. Ein moderierter Interessensausgleich findet nicht statt, die Unfehlbarkeit der AG Führung und der gesamten Geschäftsstelle wird zum Prinzip. Alles ist auf Event getrimmt und wenn die Kulisse, wie zum Beispiel beim Trainingsauftakt, nicht passt, dann legt man im YouTube-Livestream eben Musik drüber. Soll ja niemand hören, dass es Proteste gegen den Präsidenten gab. Im Laufe der Sommerpause entwickelte sich aus der diffusen Stimmungslage im VfB-Umfeld ein Slogan: „Mit EUCH kein WIR!“
Es fühlt sich an als hätte die Vorsaison nie aufgehört. Bei uns und in unserem Umfeld ist keinerlei Aufbruchsstimmung erkennbar. Die Frage, wie sich das auf die Stimmung im Stadion auswirken wird, können wir Stand heute nicht beantworten. Trotzdem möchten wir auch in diesem Jahr wieder gemeinsam in eine Saison voller Ungewissheit starten.
Der aktuelle Eintrag des Blogs „Rund um den Brustring“ mit dem Titel „Wolfgang der Profi“ erhält von uns eine absolute Leseempfehlung, da er die Argumentationsweise von Wolfgang Dietrich sehr gut seziert und analysiert: https://rundumdenbrustring.de/wolfgang-der-profi
An dieser Stelle weisen wir auf eine Veranstaltung des Chaos Computer Club Stuttgart hin: https://www.cccs.de/events/201907-nopolgbw Das nächste Polizeigesetz für BW – Schluss mit Freiheit? 11.07.2019, 19:30 Uhr mit Angela Furmaniak (Fachanwältin für Strafrecht) und Stefan Leibfarth (CCCS) Bibliothek am Mailänder Platz, Mailänder Platz 1, 70173 Stuttgart
An dieser Stelle wollen wir euch die aktuelle Ausgabe des Podcasts Nachspielzeit ans Herz legen. Hier haben wir gemeinsam mit den Machern des Podcasts einen Rückblick auf die letzte Saison geworfen und uns unter anderem auch über Konzepte, Strukturen und handelnde Personen des VfB Stuttgart unterhalten. Natürlich finden dabei auch die Proteste gegen Wolfgang Dietrich und die jeweiligen Hintergründe dazu ihren Platz.